Die "Nichtdurchführung" der Mitgliederversammlung

Oder: Auswirkungen der Pandemie

Patrick R. Nessler - Rechtsanwalt


Bestimmt die Satzung eines Vereins, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Abhaltung einer Mitgliederversammlung durchzuführen ist, besteht nach § 36 BGB eine Einberufungspflicht des für die Einberufung zuständigen Vereinsorgans. Außerdem ist die Mitgliederversammlung eines Vereins dann einzuberufen, wenn es das Vereinsinteresse erfordert.

Ein solches Einberufungsinteresse ist z. B. gegeben, wenn Organe des Vereins durch Wahlen neu besetzt werden müssen. Dies gilt insbesondere für die Wahl der nach § 26 BGB vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder des Vereins. Das Einberufungsinteresse kann aber dann entfallen, wenn die Amtszeit der zu wählenden Organmitglieder noch nicht abgelaufen ist. So hat der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 28.03.2020 den § 5 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (nachfolgend: GesRuaCOVBekG) geschaffen. Nach §§ 5 Abs. 1, 7 Abs. 5 GesRuaCOVBekG bleibt ein nach § 26 BGB vertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied auch ohne entsprechende Satzungsregelung nach Ablauf seiner satzungsgemäßen Amtszeit in 2020 bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt.

Eine Verletzung der Einberufungspflicht ist für das Einberufungsorgan dann ohne nachteilige Folgen, wenn die Mitgliederversammlung entweder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht durchführbar ist oder aber eine Abwägung der Interessen des Vereins und seiner Mitglieder dazu führt, dass die Mitgliederversammlung nicht einzuberufen ist.

Soweit die Mitgliederversammlung aufgrund der staatlichen Regelungen zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie nicht als Präsenzveranstaltung durchgeführt werden darf, kann sie in dieser Form auch nicht durchgeführt werden. So sind z. B. derzeit nach § 6 Abs. 3 der Saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 30.10.2020 Veranstaltungen, zu denen je Veranstaltungstag und -ort in der Summe in geschlossenen Räumen mehr als 10 Personen zu erwarten sind, verboten.

Sofern die Zahl der Mitglieder des Vereins die dann aktuell durch die staatlichen Regelungen erlaubte Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Veranstaltungen übersteigt, wäre die Durchführung der Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung wohl verboten und damit rechtlich unmöglich. Jedenfalls dürfte eine Mitgliederversammlung dann nicht durchführbar sein, wenn die Teilnahme von mehr Mitgliedern zu erwarten ist, als nach der dann aktuell gültigen Rechtsverordnung an einer Versammlung teilnehmen dürfen.

Selbst wenn, die Zahl der Mitglieder des Vereins und die dann erlaubte Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Durchführung einer Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung zuließen, müssen die weiteren staatlichen Regelungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie berücksichtigt werden. So müssen z. B. nach § 6 Abs. 3 VO-CP die Veranstalter dafür sorgen, dass der Mindestabstand von 1,5 m bei allen Veranstaltungen und Zusammenkünften wo immer möglich eingehalten wird (außer zwischen Angehörigen des familiären Bezugskreises und Angehörigen des bestimmbaren weiteren Haushalts).

Damit ergibt sich für einen Verein bei der Auswahl der Versammlungsstätte das Problem, dass er erst einmal eine solche mit ausreichend Platz für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und den von ihnen einzuhaltenden Abstand finden muss. Demnach ist die Mitgliederversammlung auch dann nicht durchführbar, wenn keine ausreichend große Versammlungsstätte verfügbar ist.

Zusätzlich sind bei einer Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung z. B. nach § 5 Abs. 3 VO-CP die in Ziffer 4 des Rahmenkonzeptes zum Hygienemanagement bei Veranstaltungen vom 23.09.2020 festgelegten Maßnahmen zu ergreifen.

Folglich ist bei der Entscheidung über die Durchführung einer Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung auch zu berücksichtigen, ob die sich für den Verein bei der Durchführung der Mitgliederversammlung unter den vorgenannten Anforderungen an die Räumlichkeiten etc. ergebenden Kosten wirtschaftlich tragbar sind. Das kann nur im Einzelfall, insbesondere in Bezug auf die bisher üblichen Kosten der Versammlungsstätten und das konkrete Vermögen des Vereins bewertet werden.

Außerdem besteht zwischen jedem Verein und seinen Mitgliedern eine Treuebindung. Sie erzeugt für den Verein Rücksichtnahmepflichten in Bezug auf die schützenswerten Belange der Mitglieder (Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 2-906). Sicherlich ist die Gesundheit eines Mitglieds bzw. eines von einem Mitglied zur Mitgliederversammlung entsandten Delegierten ein solch schützenswerter Belang. Auch die Freiheit des Mitglieds bzw. des Delegierten ist ein besonders schützenswerter Belang. Die Freiheit könnte beeinträchtigt werden, wenn aufgrund einer während der Teilnahme an der Mitgliederversammlung vermuteten oder gar erlittenen Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus das Mitglied oder der Delegierte in eine Quarantäne müsste.

Demnach kann die Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung auch dann nicht angebracht sein, wenn die Zusammensetzung des Mitgliederkreises des Vereins aufgrund der Rücksichtnahmepflichten des Vereins dazu führt, dass diese zum Schutz der Mitglieder zu unterlassen ist. Das kann nur im Einzelfall geprüft und entschieden werden.

Dass während der COVID-19-Pandemie die Abhaltung von Präsenzversammlungen wegen der vorstehenden Ausführungen vielfach nicht möglich ist, rechtfertigt alleine nicht, die Mitgliederversammlung ganz entfallen zu lassen. Denn der Gesetzgeber in § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG die Möglichkeit geschaffen, virtuelle Mitgliederversammlungen durchzuführen bzw. nicht anwesende Personen einer Präsenzversammlung virtuell zuzuschalten (Münchener Kommentar zum BGB/Leuschner, 8. Auflage 2018, § 36 Rn. 6a).

Eine virtuelle Mitgliederversammlung kann grundsätzlich mittels aller Medien erfolgen, die eine „telekommunikative“ Präsenz und damit eine unmittelbare Kommunikation ermöglichen. Möglich sind insbesondere Telefon- und Videokonferenzen. Der Vorstand hat pflichtgemäß zu prüfen, welche Ausgestaltung in Ansehung des Mitgliederkreises und der konkreten Tagesordnungspunkte praktikabel und zweckgerecht ist (Schneider/Bischoff: Virtuelle Mitgliederversammlungen in Zeiten der Corona-Pandemie, ZStV 2020, 153).

Es ist offenkundig, dass je nach konkreter Zusammensetzung des Mitgliederkreises die Ausstattung der einzelnen Mitglieder mit technischen Mitteln zu einer möglichen Teilnahme an der virtuellen Mitgliederversammlung oder zur virtuellen Teilnahme an einer Präsenzveranstaltung unterschiedlich stark sein kann. Ist die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich, ist eine Aussetzung der Einberufungspflicht denkbar (Münchener Kommentar zum BGB/Leuschner, 1. Auflage 2020, COVMG § 5 Rn. 20).

Inzwischen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Patentrecht diese Rechtsauffassung bestätigt und in einem neuen § 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG geregelt, dass abweichend von § 36 BGB ist der Vorstand nicht verpflichtet ist, die in der Satzung vorgesehene ordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen und die Durchführung der Mitgliedersammlung im Wege der elektronischen Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder nicht zumutbar ist. Diese Gesetzesergänzung tritt zwar erst am 28.02.2021 in Kraft (Art. 14 Abs. 3 Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Patentrecht). Doch ist dies unerheblich, da diese Regelung die -wie oben ausgeführt- nach den allgemeinen Vorschriften bereits gegebene Rechtslage bestätigt.
Die Aussetzung der Pflicht zur Einberufung einer Mitgliederversammlung ist nach den vorstehenden Ausführungen also nur auf Grundlage einer umfassenden Prüfung der konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Vereins und unter Abwägung der Interessen des Vereins und der Mitglieder möglich.


Stand: 07.01.20201


Veröffentlicht in:

Nachrichtenblatt des Landesverbandes der Briefmarkensammler des Saarlandes e.V., Ausgabe Nr. 120 Dezember 2020, S. 18 ff.
Singende Woterkant, Mitteilungsblatt des Chorverbandes Hamburg e.V., Ausgabe 3-2020, S. 10
Gartenfreund, Verbandszeitschrift für das Kleingartenwesen des Landesverbandes der Gartenfreunde, Ausgabe Nr. 1 Januar 2021, S. V f.
Gartenfreund, Verbandszeitschrift für das Kleingartenwesen des Landesverbandes der Gartenfreunde, Ausgabe Februar 2021, S. IV f.

*) Rechtsanwalt Patrick R. Nessler ist Inhaber der RKPN.de-Rechtsanwaltskanzlei Patrick R. Nessler, St. Ingbert. Er ist tätig auf den Gebieten des Vereins-, Verbands- und Gemeinnützigkeitsrechts, des Datenschutzrechts für Vereine und Verbände, sowie des Kleingartenrechts. Außerdem unterrichtet er als Rechtsdozent an verschiedenen Bildungseinrichtungen, u.a. an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement sowie der Führungsakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes e.V. und für eine ganze Reihe von Organisationen.

Rechtsanwalt Nessler ist Justiziar des Landessportverbandes für das Saarland und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Gremien des Deutschen Betriebssportverbandes. Seit 2004 ist er bereits dessen Generalsekretär. Darüber hinaus ist er der Fach-Experte für Rechtsfragen bei der Landesarbeitsgemeinschaft Pro Ehrenamt, Mitglied der Arbeitsgruppe Recht sowie des wissenschaftlichen Beirates des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde und Verbandsanwalt des Landesverbandes Saarland der Kleingärtner, Mitglied des Ausschusses „Recht und Satzung“ des Landessportbundes Berlin e.V. u.a.

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