Rederecht des Mitglieds in der Versammlung

Oder: Zu kurze Redezeit gefährdet Beschlüsse


Ein Mitglied hat gegenüber dem Verein nicht nur Pflichten, sondern auch grundlegende Rechte. Diese durch die Mitgliedschaft erlangten Rechte des Mitglieds werden üblicherweise in Mitverwaltungsrechte, Benutzungsrechte und Schutzrechte eingeteilt. Hinzu kommt das Informationsrecht, das als notwendiges Hilfsrecht die übrigen Rechte sichert und ergänzt (MüKoBGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, BGB § 38 Rn. 11). Aus dem Mitverwaltungsrecht eines Mitglieds ergibt sich, dass grundsätzlich jedem Mitglied in der Mitgliederversammlung das Rederecht zusteht (Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Rn. 2-1396).

Das Kammergericht (KG) Berlin hatte über die Frage zu entscheiden, ob eine zwar gewährte, aber sehr kurze Redezeit, eine Verletzung des Mitgliedschaftsrechts darstellt und welche Folgen das für die dann von der Mitgliederversammlung gefassten Beschlüsse hat. Das Registergericht hatte es abgelehnt, von der Mitgliederversammlung beschlossene Satzungsänderungen einzutragen. Es war der Auffassung, dass die entsprechenden Beschlüsse wegen der Verletzung des Rederechts der Mitglieder unwirksam seien. Die Mitgliederversammlung hatte vor der Entscheidung über die Satzungsänderungen beschlossen, dass jedem Redner nur eine Minute zustehen soll.

Das KG Berlin gab dem Registergericht Recht (Beschl. v. 23.12.2019, Az. 22 W 92/17) und führte aus, dass sich die Versammlung grundsätzlich der sachgemäßen Erörterung der Gegenstände der Tagesordnung unterziehen und die dafür und die dagegensprechenden Argumente der einzelnen Mitglieder anhören muss. Die Beschränkung der Redezeiten ist nur dann zu lässig, wenn ein Bedürfnis nach einer solchen Regelung besteht und diese so ausgestaltet ist, dass sie das Interesse der Mitglieder an einer zügigen und effektiven Durchführung der Versammlung einerseits und das Teilhaberecht der Rede auf der Versammlung andererseits angemessen zum Ausgleich bringt. Voraussetzung für redezeitbeschränkende Maßnahmen ist die objektive Gefährdung zwingender zeitlicher Grenzen der Versammlung, der bloße Wunsch nach einer zügigen Versammlung ist nicht ausreichend.

Vorliegend bestand die Mitgliederversammlung aus 95 Teilnehmern. Bei einer solchen Anzahl ist, so das KG Berlin, eine Redezeitbegrenzung zwar nicht offenkundig überflüssig. Die Tagesordnung war mit 32 Punkten auch nicht so kurz, dass sie eine überlange Versammlungsdauer jedenfalls nicht befürchten ließ. Das Interesse der Mitglieder an einer zügigen Durchführung der Versammlung ist letztlich ebenfalls gleichfalls Ausdruck ihres Teilnahmerechts.

Trotzdem wurde nach Auffassung des KG Berlin das Rederecht der Mitglieder durch die Redezeit von einer Minute nicht unerheblich eingeschränkt. In einer Minute eine Auffassung zu einer bestimmten Frage darzulegen, stellt selbst für einen geübten Redner eine Herausforderung dar. Die Redezeit von nur einer Minute ohne konkrete Gefährdungslage stelle sich als unangemessen kurz und damit unzulässig dar, zumal nicht ersichtlich sei, dass vorliegend eine weniger einschneidende Beschränkung nicht auch zur Durchführung der Versammlung in zumutbarer Zeit geführt hätte.

Folge der Verletzung des Teilhaberechts ist, so das KG Berlin, die Nichtigkeit der Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Der Verfahrensfehler führe zur Nichtigkeit, weil der Fehler für ein objektiv urteilendendes Vereinsmitglied relevant für die Ausübung der Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrechte ist. Die Beschränkung der Redezeit berühre unmittelbar das grundlegende Mitgliedschaftsrecht auf Teilhabe und Einflussmöglichkeit auf die Willensbildung der Versammlung. Die Relevanzschwelle sei damit überschritten. Auf Kausalitätserwägungen komme es nicht an.

Letztlich stellte das KG Berlin klar, dass die Willensbildung der Mitglieder zur Entscheidung über Beschlussfassungen nicht nur dem Schutz der einzelnen Mitglieder dient, sondern den übergeordneten Interessen des Vereins, so dass es auch nicht auf einen etwaigen Widerspruch des in seinen Rechten verletzten Mitglieds ankommt.

Fazit:

Alle in der Mitgliederversammlung anwesenden Mitglieder haben ein Rederecht. Die Redezeit darf nur beschränkt werden, wenn es dafür zwingende Gründe gibt und die Beschränkung selbst in einem angemessenen Verhältnis zum Rederecht der Mitglieder steht. Wird dieses Rederecht verletzt, führt dies zur Unwirksamkeit der entsprechenden Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Die Beschlüsse sind selbst dann nichtig, wenn die betroffenen Mitglieder die Ihnen nicht ordnungsgemäß gewährte Redezeit nicht beanstanden.


Stand: 18.06.2020

*) Rechtsanwalt Patrick R. Nessler ist Inhaber der RKPN.de-Rechtsanwaltskanzlei Patrick R. Nessler, St. Ingbert. Er ist tätig auf den Gebieten des Vereins-, Verbands- und Gemeinnützigkeitsrechts, des Datenschutzrechts für Vereine und Verbände, sowie des Kleingartenrechts. Außerdem unterrichtet er als Rechtsdozent an verschiedenen Bildungseinrichtungen, u.a. an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement sowie der Führungsakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes e.V. und für eine ganze Reihe von Organisationen.

Rechtsanwalt Nessler ist Justiziar des Landessportverbandes für das Saarland und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Gremien des Deutschen Betriebssportverbandes. Seit 2004 ist er bereits dessen Generalsekretär. Darüber hinaus ist er der Fach-Experte für Rechtsfragen bei der Landesarbeitsgemeinschaft Pro Ehrenamt, Mitglied der Arbeitsgruppe Recht sowie des wissenschaftlichen Beirates des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde und Verbandsanwalt des Landesverbandes Saarland der Kleingärtner, Mitglied des Ausschusses „Recht und Satzung“ des Landessportbundes Berlin e.V. u.a.

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